Kochen wie eine Göttin in Frankreich
WAZ 16. August 2020
Zu Tisch bei Martina Kömpel („ARD-Buffet“). Die Krefelderin
betreibt ein exzellentes Restaurant in Südfrankreich
Von Paul Stänner
Krefeld/Serviéres-le-Chateau.
Die Anfahrt nach Serviéres-le-
Chateau will keine Ende nehmen.
Mit 80 km/h geht es
stundenlang in engen Kurven
durch die Wälder. Eine Autobahn wären jetzt hilfreich.
Es ist wie in der Eifel, aber die Wälder hier sind
reicher, dichter, grüner. Und dann ist
da noch die liebliche Dordogne,
die nach Bordeaux fließt.
Rein zufällig findet man den
Ort im Départment Corréze
nicht. Obwohl es neben den Naturschönheiten
einen sehr guten Grund dafür
gibt: das Restaurant „Les Contes de Bruyeres“
(„Die Märchen von der Heide“) von Martina Kömpel.
Kleines Dorf, große Küche
Serviéres-le-Chateau ist – je nach Geschmack – verloren,
verschlafen, idyllisch und auch, wenn die Kirchenglocke
läutet, romantisch. Das Dorf hat nur ein
paar hundert Einwohner, die sich über ein so weiträumiges
Gebiet verteilen, dass man denkt, ein Restaurant
hier könne sich niemals lohnen. Doch man weiß,
wenn es um gutes Essen geht, nehmen die Franzosen
auch lange Anfahrten in Kauf.
Aber wie verschlägt es eine deutsche Fernsehköchin,
die regelmäßig im ARD-Buffet Menüs präsentiert,
in diese schöne, abgelegene Region? Martina
Kömpels Mutter, die früher in Krefeld einen
Buchladen betrieb, lebt in der Nähe von
Serviéres. Dort stand seit Jahren ein Lokal
leer und verfiel. Jeder weiß, dass
ein Ort ohne Restaurant (oder zumindest
Kneipe) ein sterbender Ort ist. Also
machte sich der Bürgermeister daran,
das heruntergekommene Wirtshaus wieder aufzuarbeiten,
eine ordentliche Küche einzubauen und
die Einrichtung neu zu gestalten. Martinas Mutter
hörte davon und gab ihrer Tochter einen Hinweis.
Obelix hätte gejubelt
Eben nimmt im Vorgarten unter dem Baum mit der
ausladenden Krone eine französische Großfamilie
Platz. Die Vorspeisen kommen auf den Tisch. Dann
trägt die 53-jährige Martina Kömpel eine Platte heraus
mit einem Stück Fleisch, aus dem drei oder vier
Rippenknochen aufragen von einer Länge, die einen
Obelix in Jubel versetzen würde. Der Patriarch am
Kopf des Tisches nickt zustimmend, das Stück wird
zubereitet. Die Köchin weiß, was zu tun ist.
Natürlich war der Weg ins Corréze nicht gradlinig.
Martina Kömpel lernte nach dem Abitur in Krefeld
zunächst einmal – Schneiderin. Da sie gerne
beim Fernsehen arbeiten wollte, begann sie
in München das Studium der Theaterwissenschaft,
Völkerkunde und Psychologie. Nebenher
jobbte sie bei Käfers Partyservice und beim Privatfernsehen,
brachte es sogar zur Casting-
Chefin einer Fernsehshow.
Alles begann mit einer Kürbissuppe
Szenenwechsel: Auf dem Flug nach Paris traf Martina
(der man im Abiturzeugnis ein „Mangelhaft“ in Französisch
bescheinigt hatte) einen jungen Mann. Sie
lernte seine Sprache, zog nach Paris und kochte eines
Abends für Freunde eine Kürbissuppe, die ihr Leben
verändern sollte. Getragen von der Begeisterung
ihrer Gäste beschloss sie, ihr Hobby zum Beruf zu machen.
Bereits drei Tage später arbeitete sie im „Lucas Carton“,
einem Pariser Drei-Sterne-Restaurant unter der
Leitung des legendären Alain Senderens. Nach dieser
Station bewarb sie sich an der renommierten Kochschule
„École Supérieure de Cuisine Française Ferrandi“,
die sie als erste
Deutsche 2007 mit einem
Diplom abschloss. In den folgenden
Jahren kochte Martina
Kömpel im Pariser Ritz
und als freiberufliche Köchin
für die Pariser Diplomatie
und startete ihre Karriere im deutschen Fernsehen.
Aber es gab ein Problem – ein eigenes, unabhängiges
Lokal zu betreiben ist in der französischen
Hauptstadt nahezu
unmöglich, wenn man
nicht viel Geld im Hintergrund
hat.
Doch Frankreich hat eine große kulinarische
Provinz.
Hähnchen an Flusskrebsen
Jahre später einigten sich in Servières-le-Chateau die
Köchin und der Bürgermeister (und einige lokale
Größen, die in Dörfern immer den Ton angeben) über
Stil und Ausstattung der „Contes“ und das Projekt
nahm Gestalt an. Seit 2016 betreibt Martina Kömpel
ihr eigenes Lokal.
Hier gibt es Hähnchen an Flusskrebsen, ein Gericht
aus der Tradition des Corréze. Es gibt Brennnesselsuppe
mit den Kräutern aus der Region, die von der
Mutter gesammelt wurden. Eine Freundin bringt
selbst gesammelte Malvenblüten vorbei. 15 Euro kostet
ein Mittagsmenü, das ist nur möglich, weil die Produkte
aus der Region stammen. Deshalb gibt es auch
keine Karte, an jedem Tag wird neu gedacht und gekocht.
Überregional verbindet sich der Name
„Kömpel“ mittlerweile mit einem Gericht,
das eigentlich aus einem Kochbuch von Paul
Bocuse stammt (welches ihr schnöderweise
geklaut wurde): Bauernhofhähnchen in
Sahne gekocht, mit Semmelbröseln und Butter
gratiniert, dazu frische Kartoffeln. Die Köchin
schwört: „Da stellen sich Glücksgefühle ein.“
Ein Bootsflüchtling wird Suppen-Meister
Drei Azubis helfen in der Küche. Darunter ein Bootsflüchtling
aus Gambia, der seine Leidenschaft für die
Küche erst beim Kochen lernte und binnen kurzer
Zeit zu einem Meister in der Zubereitung von Suppen
wurde. Was er noch üben muss, ist ohne Schüchternheit
dafür die Komplimente entgegen zu nehmen, die
der Patriarch huldvoll austeilt.
Die „Contes“ verfügen über sieben Zimmer mit
eigenem Flair – das Mobiliar stammt aus dem Ritz
Carlton in Berlin, das hier in Zentralfrankreich ein
zweites Leben bekam.
Noch immer fährt Martina Kömpel monatlich zur
Aufzeichnung des ARD-Buffets nach
Deutschland, aber ihr kulinarisches
Zentrum liegt in einem kleinen Dorf in
Frankreich. Ein weiter, auch verschlungener
Weg von Krefeld, aber
sie findet, er ist genau richtig verlaufen.
FOTO: PAUL STÄNNER / HANDOUT
„Da stellen sich
Glücksgefühle ein.“
Martina Kömpel, (53) Köchin aus Krefeld,
über ihr Bauernhofhähnchen
Martina Kömpel beim TV-Dreh für die WDR-Sendung
„Heimat geht durch den Magen“. FOTO: M. SANDER / FFS
WREG2_G Sonntag, 16. August 2020 MEIN NRW